Vom 8. November 2012 bis 18. Januar 2013 wird im ratskeller – Galerie für zeitgenössische Kunst im Untergeschoss des Ratshauses Berlin-Lichtenberg die Gruppenausstellung Barbaren der Oberschicht – Maskeraden systemischer Gewalt gezeigt. Ein interessanter Beitrag ist Florian Göttkes Videoinstallation „Toppled“ (gekippt, gestürzt) und sein gleichnamiges Buch, in dem er sich mit den zahlreichen Statuen Saddam Husseins im Irak auseinandersetzt, die nach dem Sturz des Diktators gleichsam gestürzt wurden. Aus dem Machtsymbol wurden Ikonografien des Niedergangs, passend zum Diktator selbst, der zum Ende als dreckiger Flüchtling aus einem Erdloch hervorgeholt wurde.
Die Ausstellung „Barbaren der Oberschicht“ bezieht sich in ihrem Titel auf den britischen Justizminister Kenneth Clarke, der Angesichts der Gewaltexkalation bei Protesten in London 2011 hin zu marodierenden und brandschatzenden Plünderern von „Barbaren der Unterschicht“ sprach. Das Feindbild der von Sabine Winkler kuratierten Ausstellung ist eindeutig: der Kapitalismus ist schuld, die „Finanzmärkte“ und „die den sozialen Bedingungen des globalen Kapitalismus innewohnenden, systemischen Gewaltmechanismen“, so die Kuratorin: hinter dem Kapitalismus stehe „kein moralischer Kern, sondern Gewalt“. Marx hätte es nicht schöner formulieren können. Naja, vielleicht schon.
Elf Künstler/innen setzten sich mit dieser „systemischen“ Gewalt auseinander. Wenn Pilvi Takala (* 1981 in Helsinki) in einem Disney-Schneewittchenkostüm in Disneyland auftritt (Video „Real Snow White“, 9’15“, 2009) konfrontiert dies die dortigen Institutionen (und Besucher) auf anarchisch-amüsante Weise mit einer alternativen Leseart. Meriç Algün Ringborg (* 1983 in Istanbul) fasste in ihrem „The Concise Book of Visa Application Forms“ (2009) alle Visaantragsformulare der Welt auf 560 Seiten zusammen.
Doch leider schlägt immer die kuratorische Ideologiekeule zu: Søren Thilo Funder (* 1979 in Kopenhagen) zeigt in seiner Serie „Seize the Time – Selected Pages“ (2010) ausgewählte Seiten aus der Autobiographie des Black Panther-Mitgründers Bobby Seale – wobei nur die Worte mit Waffenbezug noch kenntlich sind, eine erkleckliche Anzahl. Doch selbstverständlich ist es „eine Folgewirkung systemischer Gewalt“ (Winkler), wenn Seale zur Bewaffnung von Afro-Amerikanern aufrief, genauso wie die Kuratorin auf den „bildungspolitischen Auftrag von Monopoly“ eingeht: „Gewalt ist immanenter Teil des Systems“. Auf jenes Gesellschaftsspiel bezieht sich Olivia Plender (* 1977 in London) in ihrem Brettspiel „Set Sail for the Levant“: hier kann man nur gewinnen, wenn man von den anderen Mitspielern stiehlt, vorausgesetzt, das Leben endet nicht im Gefängnis, in der Fabrik oder mit dem Tod.
Der Zielgruppe mögen die kuratorischen Texte gefallen, beklagt man sich doch im Gästebuch, man habe nicht alles goutieren können, da man der „Kolonialsprache“ – also Englisch – nicht mächtig sei.
Trotz jener ideologischen Scheuklappen finden sich durchaus interessante Werke, so z.B. Florian Göttkes Buch (150 Seiten, 2010, 25,-€) und Videoinstallation „Toppled“ (10’10“, 2011): Die Arbeit basiert auf Hunderten von Amateur- und Pressebildern zu den Statuen des irakischen Diktators Saddam Hussein. Nach dessen Sturz wurden auch die zahlreichen Statuen von ihren Sockeln gerissen, ob von der Bevölkerung oder – das wohl bekannteste Beispiel – von den US-Soldaten. Als Stellvertreter für die reale Person wurden die Statuen geschlagen oder anderweitig erniedrigt, zerteilt und geschunden. Göttke zeigt mit diesem Bildersturm exemplarisch, wie ein früheres Machtsymbol in eine neue Bedeutung überführt wird – und abermals Gewalt in vielfältiger Form ein menschliches Ausdrucksmittel ist.
Barbaren der Oberschicht – Maskeraden systemischer Gewalt
8. November 2012 bis 18. Januar 2013
Mo-Fr 1000-1800h
Vernissage: 7. November 2012, 1900h
ratskeller – Galerie für zeitgenössische Kunst
Rathaus Berlin-Lichtenberg
Möllendorffstr. 6
10367 Berlin