Christian Stöcker schreibt im Spiegel online vom 23.2.2009 unter dem knalligen Titel „Alien-Schlächter romantisieren die Weltkriege“ über aktuelle First-Person-Shooter (FPS). 68er-bewegt heißt es da, der Krieg im Kinderzimmer habe „zu Recht längst keine Lobby mehr“, um wenige Zeilen später zu konstatieren: „Heute aber wird wieder mit Begeisterung Krieg gespielt.“ Und so polemisiert es sich fröhlich weiter, wobei Zusammenhänge erzeugt werden, die von vorn bis hinten nicht richtig stimmen wollen.
Gewiss, auf Computerspiele einzuschlagen ist nicht erst seit Christian Pfeiffer wohlfeil, zumal, wenn sie gewalthaltig sind. Man erinnere sich nur an die unselige „Killerspieldebatte“, die zur Zeit wieder an Schwung verloren hat. Doch nun legt Christian Stöcker im Spiegel eine geradezu traumhafte Assoziationskette hin: Die aktuellen Shooter sehen aus, als spielten sie im Ersten Weltkrieg. Ihre Plots seien „in etwa so clever wie die von „Landser“-Heftchen aus den Fünfzigern“. Sowieso: „Aliens sind auch nur Nazis, bloß größer“, denn Nazis benötigen die Shooter als Fieslinge. Durch die angeblich benötigten simplen Freund-Feind-Schemata und die verwendete Ikonografie würden, so der Schluß, diese Spiele die Weltkriege romantisieren. Kaiser Wilhlem II hätte an diesen Spielen „seine helle Freude gehabt.
Leider vermischt der Autor richtige Aussagen mit ziemlich absurdem Tinnef. Doch der Reihe nach:
Das „Geschäft mit dem gespielten Krieg“ sei erst mit dem Triumph der Nationalstaaten aufgekommen, heißt es da; und weiter: „Zwei Weltkriege und eine sexuelle Revolution später wurde der Kampf einer Nation gegen die andere als Rechtfertigung fürs Töten dann irgendwann unpopulär.“ Doch erstens ist dies eine sehr deutschzentrische Sichtweise (was hiesigen Journalisten noch halbwegs zu verzeihen ist – aber die behandelten Spiele kommen ja auch nicht aus Deutschland), und zweitens waren Krieg und Gewalt immer Teil des Spiels und werden es auch bleiben. Gewiss wurde während der wilhelminischen Zeit eine starke Militarisierung der Gesellschaft betrieben, doch dass der Kampf als Spiel erst damals aufkam ist eine zarte Übertreibung.
Stöcker geht dann auch gar nicht auf die naheliegende Frage ein, wann und warum dann plötzlich der Krieg als Spiel wieder hoffähig geworden sei. Der Artikel suggeriert, dass dies erst durch die aktuellen Shooter der Fall sei – oder durch Computerspiele im Allgemeinen?
Stöckers Kritik an den oftmals tumben Plots vieler Spiele ist leider nur zu berechtigt, und hier trifft er sicherlich die genannten Spiele auf korrekte Weise: Alien-Invasionen müssen zurückgeschlagen werden; die Feinde sind fies und mächtig, der Spieler die letzte Hoffnung der Menschheit… Man könnte meinen, dass sich ausschließlich 12jährige Jungs solche Plots ausdenken. Es ist zum Verzweifeln, zumal, wenn innovative Spielkonzepte (was nicht automatisch mit gewaltfrei gleichzusetzen ist) zwar von der Spielekritik gelobt, aber von den Spielern links liegen gelassen werden. Stöcker nennt auch ein kontroverses Gegenbeispiel: GTA IV, ein durchaus gewaltreicher (wenn auch kein Kriegs-)Shooter, der mit einer halbwegs komplexen Geschichte und ebensolchen Charakteren aufweisen kann.
Doch in einer seltsamen Volte läßt sich Stöcker zu einer seltsamen Verallgemeinerung hinreißen: „Man hat sich deshalb auf zwei Arten von Konsens-Feinden geeinigt: Es wird entweder gegen böse Nazis gekämpft (gute Shooter-Tradition seit ‚Castle Wolfenstein‘) oder gegen böse Aliens oder Monster (gute Shooter-Tradition seit ‚Doom‘).“ Ja, Monster sind die perfekte Projektionsfläche für das Böse, und „Nazis“ sind die perfekte Projektionsfläche für das Böse im Menschen. Aber wie viele Shooter gibt es, die weder Nazis noch Monster oder Aliens zum Inhalt haben? So werden einfach einige aktuelle SciFi-Shooter zusammengepackt und damit suggeriert, dies sei der Produktionsoutput einer ganzen Branche. „Ein tumber Plot braucht eine Welt, die so schwarz-weiß ist wie ‚Der längste Tag‘.“ Letzterer Film ist zwar nicht unbedingt mit der Ambivalenz aus „Saving Private Ryan“ zu vergleichen, doch es gäbe eine Vielzahl von wirklich schlechten Kriegsfilmen, die als illustratives Beispiel für diese an sich richtige Feststellung besser geeignet gewesen wären.
Doch kommen wir nun auf die Begründung zur Weltkriegsnähe: stets werde mit „Standard-Arsenalen“ gekämpft; Stöcker meint damit Kleinwaffen. Nun, es handelt sich um Ego Shooter (bzw. FPS). Dies bedeutet zum einen, der Spieler durchstreift die virtuelle Umgebung aus der Ich-Perspektive mit den „Augen“ der Spielfigur – und zum anderen, dass er die Möglichkeit zum Schießen hat. Es ist keine Flug- oder Fahrzeugsimulation (diese gibt es ebenso), und auch wenn in der militärischen Realität schon lange Spezialistentum und hochkomplexe Systeme Einzug gehalten haben gibt es nach wie vor den Infanteristen. Ob dieser in den Spielszenarien jene hohe Bedeutung hätte, sei dahingestellt, genauso, ob die Menschheit in Zukunft nicht viel effizientere Methoden entwickelt haben wird als kinetische Waffen. Doch Stöcker kritisiert hier eines der zentralen Elemente eines Genres. Er könnte genauso gut monieren, alle Flugsimulationen sähen gleich aus, und immer würde man mit irgendwelchen Fluggeräten herumfliegen. Das wäre zwar auch richtig, aber ähnlich hilfreich.
Des weiteren verweist Stöcker auf die Ikonografie jener Shooter, die aus derjenigen der Weltkriege ironiefrei gespeist würde. So korrekt sein Hinweis auf den eklatanten Mangel an Ironie ist – die Nähe zu den Weltkriegen ist schon weit hergeholt. Eher muten die Alienkriege wie moderner Kampf im urbanen Gelände an (hier mag man auf die Kampfhandlungen aus „Star Wars“ & Co. verweisen, die zwar mit Energiewaffen geführt wurden, aber doch sehr konventionell und auf Infanterie gestützt). Die einzige wirkliche visuelle Nähe mag zwischen den Gasmasken aus dem Ersten Weltkrieg und den halbwegs albernen Masken der Killzone 2-Fieslinge bestehen. Jene Masken haben gleich zwei Vorteile: sie sehen furchterregend aus und lassen zudem den Gegner hinter ihr verschwinden – auch ein Außerirdischer wird somit entmenschlicht; das (auch virtuelle) Töten wird somit erleichtert.
Ob die Welt wirklich einen Shooter mit „Kettensägen-Bajonett“ als Waffe benötigt, sei dahingestellt. Aber Bajonette gab es zumindest seit dem 17. Jahrhundert, und noch 1982 im Falkland-Krieg wurde der Befehl „Fix bayonets!“ ausgegeben, während für viele Einsatzarmeen ein Bajonett-(Nahkampf)training Teil der Ausbildung ist. Im Ersten Weltkrieg spielte das Bajonett jedenfalls eine deutlich kleinere Rolle als angenommen werden könnte.
Doch auf dieser visuellen Referenz gleich eine ganze Argumentation aufzubauen, die Kämpfe in den Shootern sähen aus wie aus den Weltkriegen und würden diese romantisieren ist viel zu kurz gesprungen. A propos: worin besteht eigentlich die angebliche und im Titel angemahnte Romantisierung? Die besprochenen Spiele sind alles knallharte Shooter (und damit ausschließlich für Erwachsene, was an dieser Stelle erwähnt werden soll) – ein „lustiges Soldatenleben“ kann nicht wirklich ausfindig gemacht werden.
Schade, denn die Kritik an den oft zu simplen, ja geradezu dämlichen Geschichten vieler Spiele ist berechtigt, vom Handlungsgerüst bis zu den Charakteren. Mit solchen Polemiken wie derjenigen Stöckers wird sich eine Änderung jedoch nicht beschleunigen – vielmehr werden diejenigen in ihrer Ablehnung bestätigt werden, die schon immer wußten, wie verderbt und blödsinnig all diese Computerspiele nun einmal sind.