Das Polit-Drama „Sturm“ von Hans-Christian Schmid ist ein kleines, eher stilles Meisterwerk geworden: hier wird der Krieg nicht mit Blick auf seine unmittelbare Gewalt betrachtet, sondern seine Auswirkungen und langanhaltenden Verletzungen. Sturm zeigt zudem die Schwierigkeiten und auch Limitationen der internationalen Gerichtsbarkeit auf, indem er seine Handlung um eine Anklägerin am Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY)1 sowie ihre Kronzeugin zentriert. Die glaubhaften Charaktere und die dichte Atmosphäre zeigen zahlreiche, filmisch selten beleuchtete Probleme auf.
Hannah Maynard (Kerry Fox), Anklägerin am Kriegsverbrechertribunal in Den Haag, führt einen Prozess gegen Goran Duric (Drazen Kuhn), einen ehemaligen Befehlshaber der Jugoslawischen Volksarmee. Ihm wird vorgeworfen, für die Deportation und spätere Ermordung bosnisch-muslimischer Zivilisten verantwortlich zu sein. Der Prozess scheint verloren, nachdem sich ein Zeuge in Widersprüche verstrickt und schließlich Suizid begeht. Doch die Anklägerin gibt nicht auf, zumal sich mit Mira (Anamaria Marinca), der Schwester des Zeugen, eine neue Chance eröffnet, die offenbar mehr zur Aufklärung beitragen könnte. Doch Mira hat berechtigte Angst, nicht zuletzt um ihr neues Leben in Deutschland: ihre Familie weiß nichts von ihrer Vergangenheit, und die Bedrohung durch Durics Unterstützer reduziert sich nicht auf Warnungen. Schmid fokussiert hierbei auf die menschliche Ebene des Leids und der Kriegsauswirkungen: Mira mag von außen selbstbewußt wirken, ihr Leben ist hingegen äußerst fragil. Für die Beziehung mit ihrem deutschen Mann (Steven Scharf) stellt all dies eine große Belastung dar, der hiervon schlichtweg überfordert ist: „Ich weiß eigentlich gar nicht, wer Du bist.“
Die Probleme internationaler Strafgerichtsbarkeit werden von Schmid so still wie akribisch aufgeführt: Maynard stellt im Verlauf des Prozesses fest, wie gering das Interesse der Richter an der Aufklärung ist. Und auch die Europäische Union – die Anklägerin hat eine Fernbeziehung zu einem ihrer Bürokraten – will lieber „voranschreiten“: der Prozess beginnt zu stören und soll abgewiegelt werden. Auf Maynards Ausruf, es sei ungerecht, wird sie von ihrem Freund (Rolf Lassgård) zurechtgewiesen: „Du hast den Blick für den Gesamtzusammenhang verloren!“
Nicht zuletzt ist das Schuldbewusstsein bei den direkten und indirekten Tätern sehr gering ausgeprägt: Selbstzufrieden präsentieren sich die neuen-alten Herren im ehemaligen Jugoslawien, die ihre vormals politische in eine nun wirtschaftliche Macht transferiert haben. Nicht zuletzt spielen Verfahrensfehler eine gewichtige Rolle: so sinnvoll ihre Berücksichtigung in Prozessen sein kann, so fatal wird es, wenn eindeutig Schuldige sich auf diese Weise ihrer Strafe entziehen können. Rechtsprechung wird somit schnell zur Farce, und das Vertrauen in die Politik und internationalen Institutionen sinken weiter. Trotz aller berechtigter Kritik ist Schmids Film ein Plädoyer für die Arbeit des ICTYs und anderer Tribunale, aber auch für den Idealismus, sich für Recht und Gerechtigkeit einzusetzen.
Die Recherchearbeit für das Drehbuch von Hans-Christian Schmid und Bernd Lange hat sich gelohnt: Auch die Nebenrollen wirken glaubhaft, so z.B. Patrick Färber (Alexander Fehling), der ehrgeizige junge Jurist an Maynards Seite, Keith Haywood (Stephen Dillane) als ihr bei der Beförderung vorgezogene Vorgesetzter, oder jene frustrierte Praktikantin (Wine Dierickx) am ICTY, die den bedrückenden Verlauf der Verhandlungen und das einsame Leben der Zeugen im Hotel miterlebt. Gleiches gilt für die Dialoge, die nicht nur juristische Realitäten gut abbilden. Der Filmtitel selbst bezieht sich auf die gleichnamige Militäroperation, in der die kroatische Armee innerhalb weniger Tage die Republika Srpska Krajina eroberte, die unter serbischer Kontrolle stand und rund ein Drittel des heutigen Kroatiens ausmachte. Hierbei wurden zahlreiche Kriegsverbrechen begangen, einschließlich „ethnischer Säuberungen“. Angenehmerweise erzählt „Sturm“ dabei keine „wahre Geschichte“, sondern eine, die sich viel zu oft auf die eine oder andere Weise zugetragen hat. Zudem lösen die beiden Protagonistinnen mit ihren Handlungen einen veritablen Sturm aus.
Der deutsch-dänisch-niederländische Film kommt ohne artifizielle Spannungselemente aus; die Dramatik ist eine stille, wenngleich nicht weniger wirkungsvolle. Hans Møllers Sounddesign unterstützt diesen Ansatz ideal, ebenso die Handkamera von Bogumił Godfrejów, die Nähe schafft und dabei jede unangemessene Hektik vermeidet. Nicht der Nervenkitzel steht somit im Vordergrund, sondern eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Politik, ohne dabei dröge zu sein. Natürlich werden nicht zuletzt die Gerichtsszenen an der Geduld mancher actiongewohnter Zuschauer zerren. Belohnt wird man mit einem klugen Film, dessen authentische Geschichte und Charaktere im Gedächtnis bleiben.
„Sturm“ wurde auf der 59. Berlinale uraufgeführt und erhielt dort leider keinen der begehrten Bären. Dafür erhielt er den seit 2005 vergebenen Preis der Menschenrechtsorganisation Amnesty International und wenige Monate später Hans-Christian Schmid den nach Bernhard Wicki benannten Friedenspreis des Deutschen Films.
Das Ende kommt nicht ohne Bitterkeit aus – aber es bleibt Hoffnung. Natürlich kann man jenem „kleinen Happy End“ vorwerfen, es sei unrealistisch, würde doch eine Person wie Maynard nie ihre Karriere aufs Spiel setzen. Doch was wäre, wenn sich alle an „die Gegebenheiten“ anpassen würden? Wo bliebe der zutiefst menschliche Anspruch nach Gerechtigkeit, auch wenn der Kampf hierfür nahezu aussichtslos scheint? Die Welt benötigt nicht mehr Gutmenschen, die sich mit billigen Sprüchen reinwaschen, sondern zutiefst moralisch agierende Personen wie Maynard. Sturm entläßt den Zuschauer nicht in der falschen Gewissheit, dass sich schon alles zum Guten wendet – er spielt den Ball zurück, denn es liegt in unser aller Verantwortung.
Deutscher Kinostart: 10.09.2009
Polit-Drama, 110 min
Im Verleih der Piffl Medien GmbH
Weitere Links:
Sturm (offizielle Seite)
Sturm (IMDB-Eintrag)
Sturm (Wikipedia-Eintrag)