Der am Berliner Lette-Verein ausgebildete Fotograf Martin Bayer setzt sich in seiner Serie grounded1 mit Bildern ausgemusterter Militärflugzeuge mit der Wahrnehmung von Geschichte und Krieg, aber auch der Ästhetisierung von Waffen auseinander. Losgelöst aus ihrem historischen Kontext erscheinen die Flugzeuge wie Objekte, ja skulpturenhaft. Weder das Ursprungsland noch der Einsatzzeitraum sind klar umrissen: war es ein „Angreifer“ oder ein „Verteidiger“, bezogen auf unsere eigenen Einteilungen? Jeder Krieg schafft seine Geschichte und seine Mythen – grounded verbannt sie in den Hintergrund und läßt den Betrachter eigene Assoziationen knüpfen.
Die Erinnerung an Krieg, Zerstörung und Leid ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Solch einschneidenden Erlebnisse werden häufig über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte tabuisiert – die Beteiligten wollen vergessen, ob Täter oder Opfer. Die Gesellschaft schreitet voran – aber die Traumata bleiben und prägen eine Gesellschaft über die Generationengrenzen hinweg.
grounded ist eine Serie von Fotografien ausgemusterter Militärflugzeuge. Im Gegensatz zu musealen Aufnahmen oder Erinnerungsschnappschüssen fällt es schwer, den historischen Kontext auszumachen. Hoheitszeichen sind keine ersichtlich: Zu welcher Luftstreitmacht gehörten die Maschinen einst? Wer waren die „Freunde“, wer die „Feinde“? Handelte es sich um „Angreifer“ oder „Verteidiger“? Die gewählten Ausschnitte lösen die Fluggeräte auch von ihrem Einsatzzeitraum: manche könnten aufgrund ihrer Formgebung und der Bewaffnung mit Maschinenkanonen während des Zweiten Weltkrieges zum Einsatz gekommen sein; die aerodynamischere Gestaltung anderer wiederum legt spätere Dekaden näher.
Der Betrachter wird somit aufgefordert, selbst einen Kontext zu erstellen, die eigene Erinnerung an frühere Zeiten sowie an vergangene Kriege wachzurufen: Ost-West-Konfrontation im Kalten Krieg, Korea, Vietnam, bis hin zu den Kriegen beim Zerfallen Jugoslawiens und in der Golfregion. Hierbei wird auch eine Brücke zur Gegenwart geschlagen, denn ähnliche Maschinen setz(t)en auch die Despoten im Norden Afrikas und im Mittleren Osten ein, und wer denkt bei Luftangriffen nicht auch an den langjährigen Krieg in Afghanistan? Letztendlich veränderte sich der militärische Einsatz von Kampfflugzeugen seit 1911 vor allem durch technische Parameter, die Reichweite, Geschwindigkeit, Bombenlast, Zielerfassung und andere Aspekte bestimmen – das schreckliche Erlebnis, bombardiert zu werden, bleibt unverändert, ob für Soldaten oder Zivilisten.
Nicht zuletzt greift grounded auch die Ästhetisierung von Waffentechnologie auf, wie sie seit jeher von den Medien und nicht zuletzt von der Kunst betrieben wird: Die Kampfflugzeuge, ihrer unmittelbaren zerstörerischen Bedeutung enthoben, wirken eher wie Skulpturen, umgeben von ihrer glatten, genieteten Haut. Technologie war immer schon ein Fetisch. Aus dem alten Menschheitstraum vom Fliegen wurde wenige Jahre nach dem ersten Abheben vom Erdboden ein Mittel zur Durchsetzung militärischer Ziele, zur entgrenzten Machtprojektion. Zivilisten wurden zum primären Ziel einer Doktrin, die dazu dienen sollte, das Leiden zu verkürzen.
Was bleibt vom Krieg? Zernarbte Landschaften, versehrte Körper und Seelen, Traumata. All dies lässt sich nicht vergessen und schon gar nicht verdrängen. Aktive Erinnerungsarbeit führt immer zur Gegenwart und mit ihr zur Zukunft – einer Zukunft, die versucht, aus der Vergangenheit zu lernen. grounded ist hiervon ein Teil.
- grounded, engl. für abgestürzt, mit Startverbot belegt (Flugzeuge, Piloten), verankert, geerdet, aber auch: begründet ↩