Kathryn Bigelows neuer Film Tödliches Kommando (The Hurt Locker) ist möglicherweise der überzeugendste Versuch, Krieg als Droge zu erklären, ohne ihn dabei zum Heldenepos verkommen zu lassen. So ganz nebenbei sorgen die exzellente Besetzung und die atmosphärisch dichte Inszenierung für den besten Film über den modernen Krieg aus der Sicht des Soldaten im Einsatz.
Der Film beginnt mit einem Zitat des hierzulande leider nahezu unbekannten Autoren Chris Hedges (War Is a Force that Gives Us Meaning, 2002): „Der Rausch der Schlacht ist häufig eine starke und tödliche Sucht, denn Krieg ist eine Droge.“1 Inhaltlich oszilliert das Werk zwischen den Einsätzen eines Bombenentschärfungsteams (EOD)2 im Irak und ihrem drögen Leben im Stützpunkt: die zahlreicher werdenden Sprengfallen (IEDs)3 zu entschärfen ist eine heikle und oft tödliche Arbeit. 38 Tage hat die B(ravo)-Kompanie noch bis zur Ablösung, und wie ein unseliger Countdown verringert sich die Zahl im Laufe der 124 Minuten des Films. Bigelow vermag es dabei, die Spannung im Verlauf anzuziehen, was durch die Zwischensequenzen nur verstärkt wird, zumal sie inhaltlich keine bloßen Füllsel darstellen. Die Handlung ist realistisch und packend; und selbst die Explosionen entsprechen dem Wunsch der Regisseurin, nicht einfach die genretypischen pittoresken „Feuerwerke“ abbrennen zu lassen. Action wird hierbei erfreulicherweise als ein Element der atmosphärischen Dichte und der realistischen Sichtweise verstanden und angewandt, im Gegensatz zum aktuellen Blockbusterkino, in dem die Dramaturgie den Special Effects klar untergeordnet wird.
Der Blickpunkt des Zuschauers ist der des Soldaten. Dementsprechend spielen Handkameras eine große Rolle, angenehmerweise ohne nerviges „Herumrühren“ mit der Kamera oder anderweitigen stilistischen Firlefanz. Immer wieder wird auch die Ego-Perspektive gewählt, etwa durch das Panzerglas jenes dicken Schutzanzugs, der aus den Soldaten eine Kreuzung aus Astronaut und Michelinmännchen macht, verstärkt durch das schwere Atmen des ihn tragenden Soldaten – denn die sowieso schon hohen Temperaturen steigen somit auf unerträgliches Niveau. Fast fühlt man den Schweiß in Bächen herabrinnen. Doch der Schutz ist ein relativer – gleich zu Beginn kann sich ein Entschärfungsexperte (Guy Pearce) nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen und findet den Tod.
Bigelow findet immer wieder beeindruckende Bilder für die Atmosphäre eines Landes im dauerhaften Ausnahmezustand: eine dürre Katze hinkt eine Straße entlang; Bedrohung, Unsicherheit, Angst bestimmen den Kontakt zwischen Besatzern und einheimischer Bevölkerung, zwischen denen fast immer die zumindest in „low ready“-Position gezogene Waffe steht. Die Paranoia ist eine gegenseitige. Die Aufgabe, die „Herzen und Hirne“ zu gewinnen, wird zu Farce: will der Iraki, der den Soldaten in angespannter Situation in gebrochenem Englisch nach dessen Herkunft anspricht („Where you from? You from California?“), tatsächlich mit ihm in Kontakt treten und mehr über die Menschen in den Uniformen erfahren, die seinen Alltag bestimmen? Will er Almosen abschöpfen? Oder will er den Soldaten ablenken, gar in eine Falle locken? Der Soldat kann sich eine Ablenkung jedenfalls nicht leisten und scheucht den Mann fort.
Beständig überfliegen Helikopter und Kampfjets die Stadt, die Stimmung ist angespannt. Was macht dies mit einer Bevölkerung? Ein Taxifahrer wird verhaftet – er hielt bei einer Kontrolle nicht an. Erst nachdem seine Scheibe eingeschossen wurde und mit einer Waffe auf ihn gezielt wird, setzt er langsam zurück. War er ein Widerständler, oder begründete sich seine Reaktion auf Angst oder passivem Widerstand? Ein Soldat meint nach seiner rüden Verhaftung: „Wenn er kein Aufständischer war, ist er es verdammt noch mal jetzt.“ Diese Frage bleibt zentral und unabhängig von Alter und Geschlecht: wer ist ein gegnerischer Kämpfer, und wer ein „anständiger Bürger“, deren Schutz der Auftrag der Soldaten ist?
In einer anderen Szene werden die Soldaten von einem Zivilisten auf einem Hausdach gefilmt: „Er bringt mich auf YouTube“ kommentiert einer der Soldaten. Handelt es sich um einen Journalisten und seinen berechtigten Informationsanspruch, oder um einen Schaulustigen – oder gar um einen Aufständischen, der die geplante Tat live filmen will? Letzteres wird wahrscheinlicher – aber welche Folgerungen geben sich hieraus für die Soldaten?
Die Anspielungen auf die aktuelle militärische Realität gegenüber althergebrachten Mitteln (die Michael Forster von Geopowers gern den „Kampf mit verbundenen Augen“ nennt4) sind zahllos: So fragt der „Neue“ nach Eintreffen: „Viele Panzer gibt’s hier. Kommen denn die Russen?“ Denn in der Tat sind solch schwere Waffen für Häuserkampf (MOUT)5 im bewohnten Gebiet oder Stabilisierungsoperationen gegen einen nicht-militärischen Gegner nur bedingt geeignet.
Auch die Öffentlichkeitsarbeit bekommt ihr Fett weg: Der Stützpunkt sei vor zwei Wochen von „Camp Liberty“ in „Camp Victory“ umbenannt worden: „Sie denken, es hört sich besser an“, wird der fragende Neuankömmling beschieden. „Be all you can be“ – „Sei alles, was Du sein kannst“ lautet ein Werbespruch der US-Streitkräfte – doch, so der an sich und seinem Einsatz zweifelnde Specialist Owen Eldridge (Brian Geraghty) zu seinem Truppenpsychologen, „was, wenn ich nur tot am Rand einer irakischen Straße liegen kann? Ich glaub, dass ich das am ehesten sein kann.” Der Psychologe hat hierfür nur wenig hilfreiche Allgemeinplätze übrig: „Das hier ist Krieg. Es müssen jeden Tag Leute sterben.“ Für Eldridge ist die Folgerung klar: „Warum nicht ich?“ Denn sein Kamerad mußte letztens sterben – hätte Eldridge nicht besser sichern können? Das Hadern mit der eigenen Schuld kann ihm niemand nehmen.
Mark Boal, Co-Autor des Drehbuchs (dessen wahre Geschichte „Death and Dishonour“ auch das Drehbuch für den großartigen Film „Im Tal von Elah“ (In the Valley of Elah) bildete) war 2004 als eingebetteter Journalist bei einem EOD-Team in Bagdad. Seine Erlebnisse verarbeitete er zu diesem packenden Skript. Ihm waren insbesondere die psychologischen Faktoren für Menschen im Krieg wichtig: „Wenn man die politischen Erklärungen für Krieg beiseite läßt und ebenso die wirtschaftlichen, so bleibt eine psychologische Komponente, warum Männer kämpfen und insbesondere Sgt. James ist ein Charakter, der nahezu abhängig vom Kampf ist.“
Viele Streitkräfte basieren zunehmend oder ausschließlich auf Freiwilligen. Auch für die Wehrpflichtarmeen hat sich die Situation seit 20 Jahren grundlegend geändert: die direkte Verteidigung des Heimatlandes ist dem Kampf gegen eine komplexe und konfuse Bedrohung gewichen. Was sind die Motivationen für Menschen, sich hierfür zu melden? The Hurt Locker bedient nicht die einfachen Erklärungsmuster, die gern Geldgier, Abenteuerlust und Naivität unterstellen. Vielmehr kann der Kampf auch eine weitere, nicht selten verschwiegene Komponente besitzen.
Für die Hauptcharaktere ist Krieg der Lebensinhalt, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise: Sergeant J.T. Sanborn (Anthony Mackie) ist ein professioneller, abgeklärter Soldat, für den Weisungen und Richtlinien klare und einzuhaltende Vorgaben sind. In seiner Herangehensweise – nicht zuletzt als Teamplayer – stellt er im Prinzip einen Idealtypus für einen modernen Kämpfer dar.
Sein Antipode ist der neue Entschärfungsspezialist Staff Sergeant William James (Jeremy Renner), ein klassischer heroischer Kämpfer, der sich einen feuchten Dreck um Teambuilding oder Befehle schert, sobald diese seinen Zielen seiner Einschätzung nach zuwiderlaufen. Passenderweise wird gleich der erste Einsatz im Stil eines Western-Showdowns gefilmt, und so cowboyhaft tritt James auch immer wieder auf: Er wirft eine Rauchbombe, um den Gegner zu verwirren, doch noch verwirrter scheinen seine Mitstreiter zu sein, die ihn nicht mehr sehen können. Mit dem markigen Spruch „Wenn ich schon sterbe, will ich’s bequem haben“ legt er seinen Schutzanzug ab, als ihn dieser behindert. Er unterbricht die Kommunikation mit seinen Kameraden, wenn ihn diese stört und widersetzt sich auch dem Befehl, eine komplizierte Entschärfung abzubrechen, besessen davon, es doch noch zu schaffen. Für all das wird er bewundert, sei es von einem Jungen, mit dem er sich anfreundet („Das ist gangstermäßig, das ist cool!“), sei es von einem ihm unbekannten Oberst, der ihn nach der besten Methode fragt, „so ein beschissenes Ding zu entschärfen“. Seine Antwort hätte auch ein Sheriff geben können: „So, dass man nicht stirbt, Sir.“
Geplant als große Hollywood-Produktion mit entsprechenden Stars war es eher ein Glück für den Film, dass unverbrauchte Gesichter (und schon gar nicht die „üblichen Verdächtigen“ für solche Produktionen)6 die Besetzung bestimmen. Ralph Fiennes stellt seine Wandelbarkeit erneut in einer wichtigen Nebenrolle unter Beweis: als bärtiger Anführer eines Söldnerteams, das mit gefangenen Verdächtigen in der Wüste unterwegs ist und bei einer Panne auf das EOD-Team trifft. Auch jene Situation ist bezeichnend für die neue sicherheitspolitische Realität: zivile „Auftragnehmer“ übernehmen staatliche Aufgaben, schwer bewaffnet, ohne hoheitliche Uniform, mit diffusem Auftrag und ohne Kontrolle. Als die Gruppe unter Feuer gerät, erschießt einer der Söldner die beiden flüchtenden Gefangenen, gleichwohl er dabei selbst ein gutes Ziel abgibt; den „Erfolg“ markiert ein zufriedenes Gesicht.
Das sich daraufhin entwickelnde Scharfschützenduell ist einer der Höhepunkte des Films und kann auch als neue Benchmark für Sequenzen aus der Scharfschützenperspektive gelten: langsam nähern sich die Kontrahenten an, die Anspannung ist unmittelbar, und all das ohne Effekthascherei, hastige Schnitte, peitschende Musik oder heroisierende Shooter-Fantasien. Die durch die flirrende Hitze verschwommene Sicht kann als Bild für all die Unschärfen gelten: zwischen Zivilisten und Aufständischen, zwischen Gut und Böse, zwischen Sinn und Sinnentleerung. Wie auch in einigen anderen Szenen wird hier eine Hochgeschwindigkeitskamera eingesetzt: als die Hülse der letztendlich tödlichen Patrone herabfällt, scheint sie auf dem Sand fast zu tanzen.
Nach dem neuerlichen Überleben sitzt man abends zusammen und trinkt. Sgt. James bewahrt in einer Kiste unter seinem Bett Dinge auf, die ihn fast getötet hätten: diverse Zünder und andere Bestandteile mancher der 873 Bomben, die er bereits entschärft hatte – sowie seinen Ehering. Immer wieder ruft er bei seiner Frau in der Heimat an, von der er irgendwie getrennt ist, und irgendwie auch nicht. Doch als sie ans Telefon geht, vermag er nicht zu reden.
Ganz klischeefrei ist auch The Hurt Locker nicht. Als der nach wie vor kriegsbegeisterte Colonel Reed beschließt, das Team zu begleiten, weiß man, dass dies nicht gut ausgehen wird. Sein Softie-Ansatz, die „Herzen und Hirne“ zu gewinnen, ist zum Scheitern verurteilt – und von ihm selbst bleibt nicht viel übrig. Zumindest eine der zahlreichen, oft mit einfachen Mitteln gebauten, aber sehr trickreich konzipierten Bomben entspricht dem Filmprototyp: Sprengstoff, viele Kabel, dazu ein Zeitzünder mit Digitalanzeige, und das alles auf einem Unschuldigen montiert, der um sein Leben bettelt. James versucht sein Bestes – und scheitert letztendlich doch, nun wieder konträr zu den üblichen Klischees.
In all dem Schrecken gibt es für James nur eine menschliche Beziehung: zu „Beckham“, einem irakischen Jungen, der raubkopierte DVDs an die Soldaten verkauft und mit dem er Fußball spielt. Als die Soldaten in einer „Fabrik“ für IEDs einen toten Jungen entdecken, in dessen Bauch eine Bombe platziert wurde, überkommt James die Wut. Nach Dienstschluss läßt er sich vom Händler, für den der Junge arbeitete, zu dessen Eltern fahren. Dort steigt er in die Wohnung – und vielleicht wird ihm erst dann klar, dass er gar nicht weiß, was er hier eigentlich will. Der Vater, ein Professor, lädt ihn in fließendem Englisch ein zu bleiben, die Mutter wirft ihn schreiend heraus und beendet somit diese absurde Situation. Zurück im Stützpunkt wird er genauso schlecht und misstrauisch behandelt wie die irakische Bevölkerung, denn es kann einfach nicht sein, dass ein US-Soldat in Zivilkleidung nachts durch die Stadt läuft, ob mit Truppenausweis versehen oder nicht.
Verabschiedet von Kindern, die Steine auf den Humvee werfen, kehrt Sgt. James am Ende nach Hause zurück und landet in einem geradezu bizarren Paralleluniversum: in einem sauberen, gekühlten Supermarkt erlebt er Warenüberfluss und kann sich nicht zwischen all den angebotenen Frühstücksflocken entscheiden. Schließlich versucht er, sich seiner Frau (Evangeline Lilly) zu erklären und erzählt von seinem Einsatz – doch ungerührt fragt sie ihn, ob er das Gemüse schneiden könne. Es ist, als ob sein anderes Ich, sein Dasein als Kämpfer in jener zivilen Heimatwelt nicht existiert, ausgeblendet bleibt. So verwundert das Schlussbild nicht, in dem James wieder im Irak ankommt: 365 Tage bis zur Rotation der D(elta)-Kompanie… Wo sonst könnte er leben?
Der schräge Soundtrack von Marco Beltrami (der nicht zuletzt auch für die Musik zu „3:10 to Yuma“ und „In the Electric Mist“ verantwortlich zeichnet) unterstützt die Atmosphäre, weitab üblicher Soundklischees. So bleibt die dröhnende Heavy-Metal-Musik beschränkt auf die Freizeitgestaltung der Soldaten in der Kaserne.
Im Vergleich zum sperrigen und vielschichtigen Original weckt der deutsche Titel „Tödliches Kommando“ leider starke Assoziationen in Richtung Action-B-Movie. Entsprechend enttäuscht wird das hiervon angezogene und somit fehlgeleitete Dumpfbacken-Publikum reagieren, in der freudigen Erwartung auf einen Kawumm-Film mit umherfliegenden Helden und lustig-bunten Explosionen, während das eigentliche Zielgruppenpublikum eher abgestoßen werden wird.
Kathryn Bigelow ist ein so kluger wie spannender Film über den modernen Krieg und seine Akteure gelungen, der durchaus als Oscar-Anwärter gelten dürfte, auch wenn ihm kein großer Verleih und ein entsprechendes Budget vergönnt war. Bigelow is back.
Deutscher Filmstart: 13.08.2009
Freigegeben ab 16 Jahren
Weitere Links:
The Hurt Locker (offizielle engl. Website)
Tödliches Kommando (offizielle dt. Website)
The Hurt Locker (IMDB-Eintrag)
- „The rush of battle is often a potent and lethal addiction, for war is a drug.“ ↩
- Explosive Ordnance Disposal ↩
- Improvised Explosive Device ↩
- Für die Nicht-Militärs: das „Gefecht der verbundenen Waffen“ war eines der Paradigmen des Kalten Krieges; schicker heißt dies neudeutsch „joint warfare“/“joint operations“. ↩
- Military Operations in Urban Terrain ↩
- In diesem Fall waren Colin Farrell, Willem Dafoe und Charlize Theron vorgesehen ↩