Nachdem an dieser Stelle bereits ein kurzer Hinweis zur Ausstellung „Dieter Keller (1909-1985): Photos von der Ostfront“ in der Berliner Galerie Berinson erschienen ist, fanden wir nun endlich Gelegenheit, uns alle gezeigten Werke anzusehen. Die Spuren des Zweiten Weltkriegs werden aus der Sicht eines künstlerisch überaus fähigen Pazifisten gezeigt: die portraitierten Menschen – ob lebendig oder tot – behalten ihre Würde. Nach zahllosen Fotografien aus dem Zweiten Weltkrieg sind uns keine anderen bekannt, die eine ähnliche künstlerische Qualität hätten.
Dieter Keller war Verleger des „Kosmos“ Verlages in Stuttgart. Er war mit diversen Künstlern seiner Zeit befreundet, u.a. mit Willi Baumeister und Oskar Schlemmer. Der zum Sozialismus/Kommunismus neigende Keller verehrte die Völker der Sowjetunion und verabscheute den Krieg. Umso bedrückender war es für ihn, einem Volk anzugehören, das andere überfiel, mordete und plünderte und sich über andere stellte. Eine Konsequenz für ihn war es, sich vom Kampfgeschehen wenn möglich entfernt zu halten und selbst nicht zu schießen. Dies scheint ihm gelungen zu sein. Mehr noch entfernte er sich diverse Male von seiner Truppe und lebte nach eigenen Aussagen zeitweise bei Partisanen. Sein umfangreicher Feldpostbriefwechsel liegt noch ungesichtet in der Staatsgalerie Stuttgart.
Soweit bisher bekannt ist, war der Aufenthaltsort Kellers Truppen an der Ostfront überwiegend das Grenzgebiet zwischen Weißrussland und der Ukraine. Mit einer „russischen Leica“ (vermutlich also einer Zorki) nahm Keller die Spuren des Krieges während seines Einsatzes als Wehrmachtssoldat an der Ostfront 1941-1942 auf.
Die Landschaften wirken oft wie gemalt: brennende Häuser, zerfurchter Boden, eine Blume in toter Erde. Eine Aufnahme russischer Kriegsgefangener kommt ohne „Herrenmenschenattitüde“ aus: die Männer lehnen an einem Zaun und könnten auch Arbeiter sein. Die Portraits der russischen Kinder zeugen gleichsam von einem offenen Blick, der erwidert wird: Hier werden keine „Untermenschen“ präsentiert, sondern junge Menschen in zerlumpter Kleidung, die spitzbübisch oder auch selbstbewußt blicken. Auch die Toten behalten ihre Würde, sei es ein madenüberwucherter Kopf oder der traurige Rest eines Rotarmisten: ein einzelner Fuß, wie eine Skulptur wirkend. Ähnlich und geradezu ästhetisch wirken die Tierkadaver, seien es Pferde, Katzen oder Gänse. Eine Leninbüste steht im Staub als sei der Körper bis zum Bauch eingegraben.
Alle diese Bilder eint der fotografische wie moralische Blick (ohne dabei zu moralisieren) und eine hervorragende Bildkomposition. Auch dies unterscheidet die Ausstellung von den üblichen Kriegs-Schnappschüssen von Soldaten, ganz abgesehen von der Absenz (zumindest lebender) Soldaten auf den Fotos und der fehlenden „Landser-Romantik“.
Dieter Keller hatte Glück: vor dem fatalen Angriff auf Stalingrad wurde er nach Italien versetzt und entging somit dem wahrscheinlichen Tod. Nach dem Krieg sprach er nicht über seine Fotos. 1958/1959 wurden alle Negative durch eine Verpuffung zerstört. Die übrig gebliebenen – und alle von Keller selbst erstellten – Vergrößerungen im Format 18×24 cm sind also Unikate.
Die Sammlung aus insgesamt 203 Bildern wird komplett zum Kauf angeboten; ein Herauslösen einzelner Fotografien kommt für die Galerie erfreulicherweise nicht in Frage. Die Galerie Berinson stellt bei Interesse und auf Anfrage ein PDF-Dokument mit allen Aufnahmen zur Verfügung.
Die mehr als sehenswerte Ausstellung einer Auswahl von 50 Fotografien ist nun bis zum 18. Dezember 2010 verlängert und findet im Rahmen des 4. Europäischen Monats der Fotografie statt (15.10.-28.11.2010).
Dieter Keller (1909-1985): Photos von der Ostfront
Galerie Berinson
Lindenstr. 34
10969 Berlin
16. Oktober bis 18. Dezember 2010
Di-Sa 1100-1800h